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Die Linie - ein mathematisch-kultureller Rundgang

Fraktale Grenzen

   
 
   
 

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  Das Drei-Magnete-Pendel      
       
 

Ein langes* Pendel, dessen Pendelkörper unten einen Metallkopf trägt, pendelt über 3 starken Magneten, die in einem gleichseitigen Dreieck, symmetrisch zur Pendel-Null-Lage angeordnet sind. Lenkt man das Pendel ein wenig aus, wird der Pendelkörper unter dem Einfluss der Schwerkraft und der Kraft der Magnete eine ziemlich wilde Bahn beschreiben und schliesslich über einem der Magnete (rot, blau oder grün) zur Ruhe kommen.

Hier eine Bahn, die links unten startet und schliesslich beim grünen Magneten endet.

*) Die Pendellänge sei so gross, dass ein kleiner Höhenunterschied zur Grundplatte bei der Auslenkung des Pendels praktisch nicht berücksichtigt werden muss: Das Pendel soll sich also beinahe horizontal über der Grundplatte bewegen. Wir können uns vorstellen, dass die oben gezeichnete Bahn mit einem feinen Stift, der unterhalb des Pendelkörpers befestigt ist, auf die Grundplatte aufgezeichnet wird.

 

   
 

Man färbt nun die Grundplatte wie folgt ein: Jeder mögliche Startpunkt wird mit derjenigen Farbe markiert, die der Farbe des Zielmagneten entspricht. Der Startpunkt unten links im obigen Bild erhielte somit die grüne Farbe.

Eine Computersimulation ergibt dabei ein Bild mit einer sehr komplexen Struktur. Im Bild rechts ist ein solches Resultat abgebildet: Man erkennt deutlich die drei Zentren der Magnete. Weiter aussen wird die Farbgebung aber zunehmend komplexer: Die Farben schichten sich wie Blätterteig ineinander.

Das Bild ist ein Fraktal, d.h. einzelne Farbgrenzen sind keine klaren Linien mehr, sondern bestehen aus einem unendlich feinen Gemisch von Linien aller drei Farben.

Wie sind die fraktalen Grenzen zwischen den einzelnen Farben zu erklären? Folgende Überlegung ist unpräzise und hat rein heuristischen Charakter:

Wähle ich eine Startposition z.B. auf der Grenze Grün - Blau, so wird das Pendel, wenn ich es leicht neben dieser Grenze starte, bei Grün oder bei Blau landen. Erwische ich aber "genau" die Grenze als Startposition, kann sich das Pendel "nicht entscheiden" - es wird weder bei Grün noch bei Blau landen können, es wird folglich bei Rot landen. Zwischen der grünen und der blauen Fläche muss also eine schmale Linie Rot liegen. Dadurch entstehen aber zwei neue Farbgrenzen: grün -rot und rot - blau. Zwischen diesen schiebt sich dann analog wieder die dritte Farbe hinein. So wird die Grenze ein unendlich feiner "Blätterteig" oder eben ein Fraktal.

 

Link zu Simulationsprogramm Uni Kassel

 

Einige Konsequenzen aus der fraktalen Struktur der Farbgrenzen:

- Starte ich das Pendel an einer "fraktalen Stelle" (d.h. im Bereich einer Farbgrenze), werden kleinste Änderungen in den Anfangsbedingungen darüber entscheiden, bei welchem Magneten das Pendel schliesslich ankommen wird. Mikroskopische Änderungen der Anfangsbedingungen haben somit makroskopisch grosse Auswirkungen. Es ist mir schlechterdings unmöglich vorauszusagen, wo das Pendel landen wird.

-Diese Unmöglichkeit der Voraussage hat nicht die Gründe der klassischen Physik ("ich kenne nicht alle Anfangsbedingungen genau"), sondern hat etwas Prinzipielles: Die unendlich feine "Aufblätterung" der Struktur ist Schuld an der Unmöglichkeit der Voraussage.

-Jede Simulation mit einem Computer liefert ebenfalls keine zuverlässigen Resultate. Denn der Computer rechnet mit gerundeten Werten, nimmt also innerhalb der fraktalen Startposition eine willkürlich gerundete Stelle an und rechnet mit dieser. Eine Änderung der Genauigkeit würde zu einer Berechnung führen, die ev. bei einem andern Magneten landete.

-Oben drei Bahnen mit beinahe gleichem Startpunkt. Jede Bahn landet bei einem andern Magneten, dies bei mikroskopisch kleiner Differenz der Anfangsbedingungen. Zudem: Wäre der Computer auf eine andere Genauigkeit eingestellt gewesen, hätten sich wieder andere Bahnen ergeben... Die gezeichneten Bahnen sind also vermutlich falsch, aber auch dies ist nicht sicher...

-Das Objekt (hier das System "Magnetpendel") kann also von seiner Umgebung nicht mehr sauber abgekoppelt werden. Es gibt keine scharfe Grenze mehr zwischen dem Beobachtungsobjekt und der Umgebung. Objekt und Einflüsse der Umgebung verbinden sich zu einem unauflösbaren Ganzen. Wir haben eine ähnliche Situation wie in der Quantenphysik, wo sich Objekt und Beobachter auch nicht mehr sauber trennen lassen.